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Das Phänomen Tod

Aus aktuellem Anlass möchte ich mich mit einem Phänomen beschäftigen, das uns früher oder später alle betrifft: dem Tod. Vor Kurzem verlor ich einen guten Freund durch etwas, das in den Medien konsequent tabuisiert wird: Suizid. Auf Basis einer Richtlinie des Pressekodex wird die Berichterstattung zum Thema Selbstmord munter zensiert. Zugrunde liegt hier die Angst vor Nachahmern, welche durch den sogenannten Werther-Effekt erklärt wird. Aus meiner Sicht fußt dieser jedoch auf einer These, die nicht ausreichend wissenschaftlich belegt ist. Auch der Grundsatz „Die Berichterstattung über Selbsttötung gebietet Zurückhaltung“ wird von den Medien oft überinterpretiert.

Rund 10000 Menschen wählen alleine in Deutschland jährlich den Freitod. Eine erschreckend hohe Zahl. Richtig schockierend wird es allerdings dann, wenn man sich plötzlich selbst damit konfrontiert sieht. Wenn aus der Statistik ein Mensch wird, wenn aus der Zahl ein Gesicht wird. Gerade deshalb finde ich es wichtig, darüber zu sprechen.

Der Tod ist endgültig, für uns nicht greifbar. Das menschliche Gehirn tut sich schwer, den Begriff der Endgültigkeit zu erfassen. Niemand kann mit Bestimmtheit sagen, ob danach etwas kommt und wenn ja, was es sein wird. Grundsätzlich ist der Tod eines Menschen daher ein tragisches oder aber mindestens ein trauriges Ereignis. Der Suizid bildet hier allerdings eine besonders schwere Tragweite ab. Das unfassbare Leid, welches der Tod durch einen Selbstmord bei Angehörigen und Freunden zurücklässt, ist nur schwer in Worte zu fassen. Stirbt ein alter Mensch eines natürlichen Todes, so könnte man sich zumindest damit trösten, dass dieser sein Leben gelebt habe. Stirbt ein kranker Mensch, so hat er vielleicht bis zum Schluss gekämpft. Nimmt sich ein junger Mensch das Leben, der vielleicht noch 50 Lebensjahre oder mehr vor sich hatte, wirft dies bei den Hinterbliebenen eine ganz andere Form des Elends auf: Selbstvorwürfe. Der Gedanke, dass es vielleicht hätte verhindert werden können, schwingt immer mit.

Erschwerend hinzukommt, dass das Überleben des eigenen Kindes mitunter das Schlimmste ist, was einem Menschen passieren kann. Unabhängig von den Gründen ist der Suizid eine bewusste Entscheidung. Fragen wie „hätte ich mehr für ihn oder sie da sein sollen?“ oder „warum hat sie oder er denn nichts gesagt?“, drängen sich ganz automatisch in den Vordergrund. Im schlimmsten Falle ist der genaue Grund noch nicht einmal bekannt, was Raum für weitere Fragen oder gar Spekulationen offen lässt. Das Leben ist ein Geschenk und dennoch sieht manch einer die Notwendigkeit, es zu beenden, den Tod als letzten Ausweg.

Jeder geht anders damit um. Den Schmerz kann allerdings niemand verbergen, denn Augen lügen nicht. Mir hilft es, offen darüber zu reden. Ich verdränge es nicht, sondern konfrontiere mich damit. Für mich führt der Weg nur durch den Schmerz hindurch, bis hin zur Akzeptanz und letztlich dem Loslassen. Dem Toten kann ich nicht mehr helfen. Eigentlich betrauert man nicht ihn, sondern sich selbst, da man nun ohne ihn weiterleben muss. Aber seinen Hinterbliebenen kann ich helfen, was mir wiederum selbst hilft. Für sie da sein, Anteil nehmen, ihnen zeigen, dass sie mit ihrer Trauer nicht alleine sind. Die gemeinsamen Erinnerungen an einen geliebten Menschen bleiben und verbinden. Wir, die in diesem Leben zurückbleiben, sollten zusammenhalten, uns gegenseitig stützen und Trost spenden. Etwas Mitmenschlichkeit, die in den kalten Tagen des Lebens für Wärme sorgt. Ein Versuch, das Unerträgliche erträglicher zu machen.

Ein letzter Brief an meinen geliebten Freund Daniel

Es ist ein sonniger Februartag, als ich erfahre, dass du für immer von uns gegangen bist, mein lieber Freund. Als ich mit der Tatsache konfrontiert werde, dich nie wieder zu sehen, nie wieder deine Stimme zu hören, nie wieder mit dir über das Leben zu philosophieren und nie wieder gemeinsam mit dir zu lachen. Du hast nie einen Hehl daraus gemacht, dass das Leben für dich eine Bürde war. Und dennoch warst du einer der außergewöhnlichsten Menschen, die ich jemals kennenlernen durfte. Ein durchgeknallter und liebenswerter Idealist mit einem riesengroßen Herz. Deine Intelligenz war bewundernswert, deine Talente zahlreich und deine sensible Seite einzigartig. Vielleicht war gerade das der Grund, warum du an der Härte dieser Welt zerbrachst. Eine Welt, in der Geld mehr zählt als Charakter und eine Gesellschaft, die erbarmungslos über jene urteilt, die anders sind. Du warst anders und das war gut.

Auch wenn wir einmal länger nichts voneinander hörten, war es immer, als hätten wir uns erst gestern gesehen. Ich habe nicht nur einen Freund verloren, sondern auch einen Seelenverwandten. Nun kann ich die Zeit im Auto wenigstens für etwas Sinnvolles nutzen. Und zwar dafür, zu schreien aufgrund der Tatsache, dass du nicht mehr da bist. Dass ich jemanden, den ich mochte, nie wieder treffen werde. Zu heulen, weil ich mir vorstelle, wie du gerade neben mir sitzt und wir uns über die ganze Idiotie da draußen lustig machen. Oder wie wir zusammen in Ungarn mit der Gitarre, singend am Lagerfeuer sitzen und einfach nur glücklich sind.

Ich wünschte, ich könnte die Uhr noch einmal zurückdrehen. Ich würde dir sagen, wie besonders du bist, wie lieb ich dich habe, wie sehr ich dich vermissen würde, wenn du nicht mehr da wärst. Wie gerne würde ich noch einmal mit dir zusammen saufen, mich mit dir kaputtlachen und auf diese gottverfluchte Gesellschaft scheißen. Aber ich kann nur vorwärtsgehen. Ich muss die Realität und deine Entscheidung akzeptieren. Du fehlst mir. Du fehlst allen, die dich kannten, mochten und liebten. Du fehlst der Welt, denn ohne dich wird sie nie wieder so sein wie vorher.

Das Einzige was bleibt, ist der Schmerz und die Erinnerung. Der Schmerz wird verblassen, die Erinnerung bleibt. Ich vermag mir nicht vorzustellen, wie einsam und verzweifelt du gewesen sein musst. Der einzig verbleibende Trost ist, dass du nun endlich deinen Frieden gefunden hast, nach diesem langen und beschwerlichen Weg. Dass es dir dort, wo du jetzt bist, besser geht. Ich bin dankbar für jede Minute, die ich mit dir verbringen durfte. Ich werde dich niemals vergessen. Du lehrst mich Demut. Du lehrst mich den Wert, den dieses Leben hat und den wir so oft vergessen. Du lehrst mich, den Wert der Menschen zu erkennen, die wir lieben und die wir so oft vernachlässigen.

Weil jeder in seinem verdammten Alltag gefangen ist und wir uns zu leicht verleiten lassen, den Fokus für das Wesentliche zu verlieren. Du gibst mir Hoffnung. Hoffnung, dass wir es eines Tages schaffen werden, diese Welt zu einem besseren Ort zu machen. Unser gemeinsamer Weg endet hier. Dein Verlust erfüllt mich mit tiefer Traurigkeit und gibt mir zugleich die Kraft, weiter zu kämpfen. Ich bleibe zurück und halte die Stellung. Ich trage dich in meinem Herzen. Für immer.

Tod
Niemand hat Schuld. Ruhe in Frieden.