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Spritpreise: ein Pamphlet.

Mitten in Europa tobt der Krieg. Die Leidtragenden sind jedoch nicht etwa die Angehörigen der ukrainischen Zivilbevölkerung, deren Wohnhäuser derzeit zerbombt werden und die zusammengepfercht in Luftschutzkellern nächtigen müssen. Es sind auch keine russischen Mütter, die ihre Söhne in einem sinnlosen Krieg verloren haben. Nein, es sind mal wieder die Deutschen. Diese trifft jetzt an der Zapfsäule der harte Schock, gefolgt von blanker Ohnmacht, angesichts der aktuellen Spritpreise. Plötzlich wird das fest verankerte Grundrecht auf motorisierte Fortbewegung, die alemannische Bastion der Glückseligkeit, das letzte verbliebene Stückchen Freiheit, so richtig teuer. Was für ein Jammer aber auch.

Zwar ließe sich dieses Übel in den meisten Fällen durch angepasstes Verhalten problemlos kompensieren. Aber die sonntägliche Spaßfahrt aufs Fahrrad zu verlegen, auf lebensgefährliche Überholmanöver zu verzichten und stattdessen hinter dem LKW auf der Landstraße herzutuckeln oder einfach mal nicht im SUV mit 220 über die Autobahn zu ballern; so viel Entbehrung kann man dem deutschen Durchschnittsbürger doch nicht abverlangen.

Spritpreise
Egal wie teuer das Benzin ist: Schnell fahren ist in Deutschland gesellschaftlich akzeptierter Lifestyle.

Die FDP inszeniert sich als Retterin der Entrechteten

Die hohen Spritpreise infolge von Sanktionen gegen einen Aggressor, der einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg mitten in Europa führt, treiben den geneigten Autoliebhaber schier zur Verzweiflung. Rühmte man sich gestern noch damit, dass sich der sparsame Stadtgeländewagen ja mit nur 7,5 Litern auf 100 Kilometer begnüge als sei dies ein zeitgemäßer Verbrauch, so fleht man heute die Politik an, sie möge doch den Benzinpreis durch die Senkung von Abgaben schnellstmöglich wieder unter die Zwei-Euro-Marke befördern. Prompt findet die larmoyante Klientel dabei Gehör, zumindest bei der populistischen Porschefahrer-Partei FDP (müsste eigentlich PPP heißen), die zwar gerne etwas von freier Marktwirtschaft schwafelt, doch nun plötzlich von einer Spritpreisbremse träumt.

Gleichwohl bekundet man den Ukrainerinnen und Ukrainern seine tiefste Betroffenheit und schwimmt gerne ganz oben auf der Welle der Solidarität, selbst ein Opfer bringen möchte man dann aber doch lieber nicht. Zwar findet der bewaffnete Konflikt in unserer unmittelbaren Nähe, ja sprichwörtlich vor unserer Haustür statt. Doch der deutsche Autonarr zieht es vor, in seiner Wohlstandsblase zu verharren und möchte dort auch nicht gestört werden. Um das Gewissen zu beruhigen, spendet man dafür auch gerne ein paar abgelaufene Nudeln oder ein paar alte Decken für die armen Ukrainer.

Spritpreise
Ein SUV im Größenvergleich. Solange derartige Kisten in Deutschland noch massenhaft verkauft werden, kann es doch gar nicht so schlimm sein.

Die Petrolheads haben mehr Angst vor einem Tempolimit, als vor Krieg

Es ist in der Tat beschämend. Während in der Ukraine Menschen ihr Zuhause verlieren, den Tod geliebter Angehöriger zu betrauern haben, ums nackte Überleben flüchten oder um die Sicherung der nächsten Mahlzeit bangen müssen, ja mit echten Problemen zu kämpfen haben, ergeht man sich in Deutschland in Jammerarien über die Ungerechtigkeit hoher Spritpreise. Einfach mal den Fuß vom Gas zu nehmen ist schließlich unzumutbar, denn man nimmt für sich in Anspruch, immer und überall schnell fahren zu dürfen. Auch nur die geringste Einschränkung dessen kommt einer Beschneidung von Grundrechten gleich.

Für effektiv zwei Minuten Zeitersparnis, genehmigt man sich deshalb auch gerne mal einen Liter mehr. Kost ja nix. Alles andere wäre ein zu weiter Schritt aus der eigenen Komfortzone, denn Verzicht ist wie immer die Sache der anderen. Hauptsache man hat auf der Landstraße noch schnell den Radfahrer in einer unübersichtlichen Kurve überholt, um ihn zwanzig Meter weiter, beim anschließenden Abbiegen in eine Seitenstraße, wieder ausbremsen zu können. Offensichtlich hat man in Deutschland mehr Angst vor einem Tempolimit und hohen Spritpreisen, als davor, in einen Krieg hineingezogen zu werden.

Spritpreise
Manche Menschen würden sich freuen, wenn teures Benzin ihr einziges Problem wäre.

Fahrgemeinschaften müssen wieder populär werden

Freilich gibt es auch Menschen, die keinen SUV oder sonstige sinnlose Spritschlucker fahren und auf die tägliche Nutzung ihres Fahrzeugs angewiesen sind. Dann müssen eben Fahrgemeinschaften wieder populär werden. Wenn überhaupt, dann kann es nur Tankrabatte für sparsame Kleinwagen und einkommensschwache Haushalte geben. Von den ganzen Handwerkern und Lieferwagenfahrern, deren Gaspedal nur den Zustand „Bodenblech“ kennt und die nun plötzlich alle vor dem Ruin gerettet werden müssen, will ich gar nicht erst anfangen. Anstatt einer Vergünstigung von Kraftstoff, sollte man diesen lieber ein Handbuch mit dem Titel „Was ist eine sparsame Fahrweise und wie wird diese angewendet?“ in die Hand drücken.

Auch ich nutze hin und wieder das Auto, allerdings beklage ich mich auch nicht über die vorherrschenden Gegebenheiten. Das Leben wird nun einmal teurer, auch in anderen Bereichen, die weit wichtiger sind, wie zum Beispiel Lebensmittel. Verglichen mit dem, was eine dem Krieg ausgelieferte Bevölkerung zu erleiden hat, sind und bleiben dies, ungeachtet dessen, Luxusprobleme. Ein in einem Kriegsgebiet lebender Mensch wäre wohl froh, hohe Spritpreise gegen den unschätzbaren Luxus, in Frieden leben zu dürfen, eintauschen zu können. Darüber sollte jeder zumindest einmal nachdenken, bevor er sich über die Tatsache beschwert, auch auf der Insel der Glückseligen die Auswirkungen eines bewaffneten Konflikts zu spüren.

Zum Abschluss noch ein Wort des Trostes für die geschundene Autofahrerseele: Die Strafen für zu schnelles Fahren in Deutschland sind, trotz STVO-Novelle, noch immer so billig, wie nirgends sonst auf der Welt. Dank unserer Politik wird das auch noch lange so bleiben.

Update 17/03/22: Während „Die Grünen“ nun endgültig zu gelb eingefärbten Steigbügelhaltern zu avancieren drohen, stößt die undurchdachte Idee der FDP auch an anderen Stellen auf wenig Gegenliebe: Wäre ein Tank-Rabatt wirklich sinnvoll?

Ein interessanter Artikel darüber, warum die Deutschen im europäischen Vergleich am billigsten tanken: Diesel und Benzin sind viel zu billig. Aus diesem Grund darf sich niemand beschweren.

Hohe Spritpreise in Deutschland

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