Das Tempolimit und seine Gegner
Alle paar Jahre geistert des Deutschen größtes Schreckgespenst durch die Medien: das Tempolimit auf Autobahnen. Die traurige Wahrheit ist, dass der Fall des Dogmas der ewigen Tempofreiheit längst überfällig ist. Rational gesehen gibt es keinen einzigen Grund, warum man kein Tempolimit auf deutschen Autobahnen einführen sollte. Der gemeine Tempolimit-Gegner führt die Debatte rein auf emotionaler Ebene. Ein beliebtes Argument ist hier die Aussage, dass einem damit das letzte noch verbliebene Stückchen Freiheit genommen würde. Mal im Ernst: Jemand, der seine persönliche Freiheit über das Rasen auf überfüllten Autobahnen definiert, ist einfach nur ein armes Schwein. Sonst nichts. Das kann jedoch nicht das Problem der Allgemeinheit sein. Dann müssen diese Menschen ihre Profilneurosen eben zukünftig auf der Nordschleife ausleben. Dort gefährden sie dann wenigstens nur sich selbst und ihresgleichen.
Was für den Amerikaner die Waffe ist, ist für den Deutschen das Rasen
Stumpf beharren sie auf ihrem fantasierten Recht, auch weiterhin in ihren drei Tonnen schweren SUVs mit 250 km/h über den Asphalt prügeln zu dürfen. Dass sie dadurch erwiesenermaßen keine Minute schneller ins Ziel kommen als mit 130 km/h, dafür aber das Vierfache an Ressourcen verbrauchen, dem wird im begrenzten Universum der blechgewordenen Idiotie selbsterklärend keinerlei Bedeutung zuteil. Was für den Amerikaner das Tragen einer Kanone bedeutet, ist für den Deutschen das Rasen. Allerdings wirkt die Geschossenergie von 1500 Joule einer .44 Magnum, verglichen mit der eines modernen V8-SUVs am Anschlag, der mit 6000000 Joule daherkommt, geradezu schmalbrüstig. In puncto Tempolimit könnten wir selbst von den Amerikanern noch etwas lernen. Und nicht einmal der twitternde 12-Jährige im Körper eines 70-Jährigen erwog während seiner Amtszeit eine Abschaffung desselben.
Warum auch? Weil es verantwortungslos wäre, das weiß selbst ein dummes Kind. Natürlich reicht unser lieber (Ex-)Verkehrsminister Scheuer noch nicht einmal an dieses geistige Entwicklungsstadium heran und präsentiert sich offenkundig als ein ausgesprochener Gegner des Tempolimits. Dabei kann der arme Kerl auch gar nicht anders. Ist die Tempofreiheit doch eine der letzten verbliebenen Bastionen, in der CDU/CSU bei der verbliebenen Wählerschaft voller Ewiggestriger noch punkten können. Offenbar ist es ohne Weiteres mit den stets hochgehaltenen christlichen Werten vereinbar, mit 200 Sachen in ein Stauende zu krachen. Wie eh und je wird vor der Autoindustrie katzgebuckelt, als hätte es niemals tödliche Unfälle durch Raserei, niemals im Verkehr erstickende Landschaften, niemals einen Dieselskandal und auch niemals einen Klimawandel gegeben. Im Gegensatz zu manch hirnrissiger Reform wäre ein Tempolimit nicht nur sinnvoll, sondern auch problemlos umsetzbar.
Die CDU/CSU-Regierung klammert sich an die schwindende Wählerschaft
Aber was wäre die deutsche Politik ohne stiefelleckende Lobbyisten, die den ganzen Tag lang damit beschäftigt sind, Interessenvertretung des Volkes zu heucheln, um sich danach im Mercedes-Benz-Zwölfzylinder auf Staatskosten zum gesponserten Dinner mit Kaviar und Krimsekt chauffieren zu lassen. Es wäre wohl kaum jemand überrascht, würde er den geschätzten Herrn Scheuer nach Ende seiner politischen Karriere im Vorstand eines deutschen Automobilkonzerns wiederfinden. Der eigentliche Skandal ist aber, dass das Schreckgespenst nahezu immer, neben den Grünen als einzige politische Instanz, immer nur von NGOs, wie zum Beispiel der Deutschen Umwelthilfe e.V. ins Gespräch gebracht wird. Wie ein lästiges Insekt sitzt es dann auf der verschwitzten fahlen Haut der Industrie-Günstlinge und sie führen jedes Mal aufs Neue ihre misslungenen Tänze der Verzweiflung auf, um es abzuschütteln. Blutig gekratzt und nach Angst stinkend, suchen sie kriechend Schutz bei ihren Gönnern und der naiven Wählerschaft. Letztere schwindet derzeit allerdings schneller, als derzeit die Pole abschmelzen.
Selbst wenn ich mich in der Vergangenheit geneigt fühlte, der Deutschen Umwelthilfe e.V. an der einen oder anderen Stelle Übertreibung zu unterstellen, so bleibe ich doch stets versucht, mich an ihrem verursachten politischen Leid zu laben. Das kann ich sogar mit einem äußerst reinen Gewissen tun, denn so ein Tempolimit von vernunftbeseelten 130 km/h tut nun niemandem weh. Außer vielleicht dem Ego irgendeines Hampelmannes, der sich gerade einen neuen Stadtgeländewagen mit zweieinhalb Metern Breite, sechs Metern Länge und 500 PS gekauft hat. Mit beschichteten Ledersitzen natürlich, von denen der Erguss seiner einzigen Befriedigung im Leben rückstandslos abperlt. Ein Tempolimit würde Stress, Druck und gefährliche Drängelei von den Autobahnen nehmen, den Verkehrsfluss verbessern, das Unfallrisiko senken und sich obendrein noch positiv in der Ökobilanz auswirken. Wer die Vorteile nicht erkennt oder erkennen will, ist schlicht ein Realitätsverweigerer. Oder eben ein bis ins Mark korrupter Vertreter der wirtschaftlichen Interessen eines schädlichen und grenzenlosen Wachstumskapitalismus.
Nahezu alle anderen Länder haben bereits ein Tempolimit
Ein einziger Blick über die Landesgrenzen hinaus würde ausreichen, um zu erkennen, wie gut ein Leben mit Tempolimit funktioniert. Aber anstatt von anderen zu lernen, die offensichtlich fähiger sind (oder keine Autoindustrie haben), zankt die deutsche Führungsriege nur mal wieder um des Kaisers Bart und ergeht sich in der üblichen Rückgratlosigkeit. Wenn ein Verkehrsminister nicht in der Lage ist, das zu sehen, dann sollte er mindestens über die Anschaffung einer neuen Brille nachdenken. Vielleicht sollte er aber auch erwägen, auf die Isle of Man auszuwandern. Dann könnte er weiterhin ein Leben ohne lästige Tempolimits führen und wir wären ihn und seine rückwärtsgewandte Art der Politik ein für alle mal los. Vielleicht dürfen wir Herrn Scheuer dann in einigen Jahren als Gewinner der dortigen Tourist Trophy beglückwünschen. Vorausgesetzt, er legt sich nicht kurz vor dem Ziel mit 300 km/h auf den Boden, um anschließend eine Meile über den Asphalt zu scheuern.
Anmerkung: Der ursprünglich aus dem Jahr 2019 stammende Artikel wurde kürzlich (03/2022) etwas überarbeitet. Neben kleinerer Textkosmetik wurden auch themenverwandte Links ersetzt, die nicht mehr aktuell waren. Außerdem wurden die Auswahlmöglichkeiten in der Umfrage teilweise abgeändert.
Inzwischen hat Andy B.Scheuert als Verkehrsminister abgedankt (dem Himmel sei Dank). Es dürfte wohl Jahrzehnte dauern, um die von ihm verursachten Schäden an der Staatskasse wieder zu kompensieren. Aber ein Tempolimit wird es auch mit den aktuell in der Ampel-Regierung sitzenden Grünen nicht geben. Diese haben ihre Ideale verraten, um in einem faulen Kompromiss mit der Porschefahrer-Partei FDP zu koalieren. Ministerpöstchen sind dann im Zweifel eben doch wichtiger, als der eigenen Linie treu zu bleiben. Glückwunsch dazu.